Über die Unnötigkeit des Deutschunterrichts auf weiterbildenden S

Über die Unnötigkeit des Deutschunterrichts auf weiterbildenden Schulen im allgemeinen und insbesondere an Berufsschulen

 

Der Deutschunterricht ist fester Bestandteil aller Lehrpläne für alle Schulen, von der Grundschule bis zum Gymnasium. Dies macht sicherlich Sinn, denn immerhin ist Deutsch die in Deutschland am weitesten verbreitete Fremdsprache (immerhin von 97,9% der Einwohner gesprochen, wobei die eigentlichen Muttersprachen wie z.B. das Plattdeutsche für sich genommen einen geringeren Anteil, insgesamt jedoch eine Verbreitung von 100% haben). Deutsch gehört somit in Deutschland zur Allgemeinbildung eines jeden Schülers zwischen 6 und 16. Diese zehn Jahre sind sicherlich ausreichend, um eine Sprache zu erlernen, immerhin ist dies die gesetzlich vorgeschriebene Schulzeit. Außerdem sind Schüler offensichtlich auch in der Lage, eine Sprache in weitaus kürzerer Zeit zu erlernen (maximal 9 Jahre für die erste Fremdsprache von Klasse 5 bis 13).

 

Somit muß die Frage gestattet sein: Warum muß so lange Deutsch unterrichtet werden?

 

Es liegt sicherlich nicht daran, das Deutsch schwer zu erlernen ist. Latein ist wesentlich komplexer und gilt trotzdem bereits nach 6 Jahren als komplett erlernt (Abschluß mit Latinum nach Klasse 10).

 

Es kann auch nicht an der Bedeutung von Deutsch für das weitere Leben des Schülers liegen. Deutsch wird in seiner eigentlichen Form nur in Deutschland gesprochen. Primitive Vorformen und ähnliche Dialekte werden nur in Bayern, Österreich, Teilen der Schweiz und einigen Enklaven Sibiriens und Chiles gesprochen. Demgegenüber wird Englisch in wesentlich mehr Ländern und Chinesisch von wesentlich mehr Menschen gesprochen. Selbst Französisch ist verbreiteter als Deutsch.

 

Somit sind logische Gründe auszuschließen. Vielmehr ist der Grund bei konservativen Politikern zu suchen, die offenbar der Meinung sind, daß die Welt am Deutschtum genesen soll. Wie sonst ist zu erklären, daß der Deutschunterricht inzwischen sogar bis zum Abitur ausgedehnt werden soll und im Rahmen des Berufsschulunterrichts selbst für Abiturienten noch um ein Jahr verlängert wird? Und wahrscheinlich ist es nur dem Geldmangel der Universitäten zu verdanken, daß Germanistik nicht zum Pflichtfach für alle Studiengänge von Archäologie über Chemie und Informatik bis hin zur Theologie und Physik erhoben wird. Dabei übersehen die Politiker die ungleiche Behandlung der Gesellschaftsschichten, die durch die sogenannte Allgemeinbildung eigentlich vermieden werden sollte.  Denn während ein Hauptschüler nach 10 Jahren Deutschunterricht seine Arbeit als ungelernter Hilfsarbeiter antreten darf, so kann ein Abiturient mit kaufmännischer Ausbildung demnächst auf 14 Jahre Deutschunterricht zurückblicken, in dem sicheren Bewußtsein der intellektuellen Überlegenheit, die er durch das Lesen von Kurzgeschichten und die Analyse 200 Jahre alter Theaterstücke gewonnen hat. Es ist sicherlich nicht richtig zu behaupten, man könnte aus der deutschen Literatur nichts lernen. Doch dies sollte freiwillig geschehen. Es ist sicherlich für zukünftige Germanisten interessant, wenn sie die Charaktere von Tell und Geßler vergleichen können. Aber warum sollen dies alle Schüler tun? Andere Schüler lernen lieber andere Themen, solche die ihrem Charakter mehr entsprechen und mit denen sie auf ihrem Lebensweg mehr anfangen können als mit einer Analyse eines Gedichtes über Glockengießer. Themen wie Integralrechnung, Entomologie, Ethik, Quantenmechanik oder Relationale Datenbanksysteme sind für viele interessanter als „Kabale und Liebe“.

 

Deutsche Schüler sind nicht dümmer oder intelligenter als andere. Sie erlernen ihre Muttersprache im täglichen Leben, genau wie andere Schüler in anderen Ländern. Die Sprache die sie auf diesem Weg erlernen ist sicherlich nicht die gleiche Sprache, die an Universitäten unterrichtet wird. Aber auch in England und Frankreich wird sehr viel Umgangssprache gesprochen. Und den korrekten Umgang mit der deutschen Sprache erlernt der Schüler sicherlich nicht mit Büchern wie Faust. Der Unterricht über die grundlegenden Sprachregeln ist nach 10 Jahren sicherlich abgeschlossen (sonst wären Haupt- und Volksschüler in der Gesellschaft benachteiligt). Jeder weiterführende Unterricht im Rahmen der sogenannten „Allgemeinbildung“ dient nur dazu, den Schülern dieselben Ideen und Ideologien zu vermitteln, die schon diejenigen Politiker in der Schule gelernt haben, die heute die Kultusministerien bevölkern. Ob auf diesem Weg eine neue Generation entstehen kann, die eine bessere Zukunft erschaffen kann, mag jeder Leser für sich selbst entscheiden.

 

Sicherlich gelten für die Berufsschule andere Regeln. Es mag manchen Leuten als notwendig erscheinen, die korrekte (DIN-genormte und von der IHK empfohlene) Form der Geschäftsbriefe zu unterrichten. Aber ob dies heute noch notwendig ist ist mehr als fraglich. In den Betrieben müssen die Auszubildenden Briefe schreiben, und das auch schon im ersten Lehrjahr, also vor Beginn des Deutschunterrichts. Somit fällten den Ausbildungsbetrieben eine wesentlich wichtigere Rolle zu als den Berufsschulen. Außerdem unterscheidet sich die Form der Geschäftsbriefe von Betrieb zu Betrieb, so daß es keine Standardform geben kann, auf der ein Schulunterricht aufgebaut werden kann.

 

Es ist sicherlich wichtig und richtig, Schülern die Verwendung ihrer Muttersprache mit all ihren Regeln und Formvorschriften beizubringen. Aber der Unterricht sollte auf die Vermittlung der Sprache beschränkt sein und nicht Themen wie Kultur zum Unterrichtsthema erheben. Jeder Schüler hat das Recht, sich selbst eine Meinung über Themen wie Moral und Ethik zu bilden. Wenn er dazu Bücher wie „Wilhelm Tell“ liest, so sollte dies seine Entscheidung sein, genauso wie er die Wahl hat, „Macbeth“, „Gorgias“ oder die Bibel zu lesen. Der Deutschunterricht sollte sich im Pflichtbereich – ähnlich wie Englisch oder Französisch – auf die Vermittlung der Sprache beschränken. Wenn Schüler mehr über die deutsche Sprache lernen wollen, so können sie in der gymnasialen Oberstufe einen Kurs belegen, genau wie sie es mit Englisch oder Französisch auch tun können. Aber sie sollten auch die Möglichkeit haben Deutsch nach der 10. Klasse abzuwählen wie jede andere Sprache.

 

Die Politiker in Bonn und in den Landesregierungen versuchen über den Deutschunterricht eine Art von Kulturunterricht einzuführen, der die „Reinheit der deutschen Kultur“ bewahren soll. Den Schülern wird somit nicht nur die Wahlfreiheit sondern auch die Meinungsfreiheit genommen. Diese Entwicklung sollte gestoppt werden bevor sie einer ganzen Generation von Schülern die Meinung der konservativen Bundes- und Landesregierungen (und zwar sowohl CDU/CSU als auch SPD) aufgezwungen hat.

 

                                                                                                                                            Jürgen Nieveler


Comments

Unknown said…
Nur falls sich jemand wundert: Den Text habe ich 1995 für den Berufsschulunterricht geschrieben - der Lehrer war sauer das die ganze Klasse Deutsch für ein unnötiges Fach hielt, und wollte von jedem Schüler einen Aufsatz als Benotungsgrundlage.

Erschreckenderweise ist der Text heute aktueller denn je..